W. Čičaj u.a. (Hrsg.): Orbis Helveticorum

Titel
Orbis Helveticorum. Das Schweizer Buch und seine Mitteleuropäische Welt


Herausgeber
Čičaj, Viliam; Jan-Andrea, Bernhard
Erschienen
Bratislava 2011: Slovak Academic Press
Anzahl Seiten
338 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Robert Barth, Stadt- und Universitätsbibliothek

Der Sammelband umfasst die Beiträge eines Kongresses der Slowakischen Akademie der Wissenschaften vom April 2007 auf Schloss Smolenice (Westslowakei). Er enthält zusätzlich ergänzende Aufsätze von weiteren Forschenden.

Das Werk ist ein Ergebnis des Projekts «Die Schweiz als geistiges und kulturelles Zentrum Mitteleuropas in der frühen Neuzeit». Es geht der Frage nach, «mit welcher Intensität und in welcher Form […] die schweizerischen Bücher die gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung des mitteleuropäischen Raumes vom 16. bis 18. Jahrhundert modifiziert und geprägt haben» (S. 7f.).

Im ersten von drei Hauptteilen («Die Schweiz als europäisches Kultur- und Druckzentrum»), erläutern Detlef Haberland und István Monok die herausragende Bedeutung des Basler Buchdrucks für Mitteleuropa im 16. Jh. und Urs B. Leu gibt einen Überblick über die Publikationen des Druckorts Zürich. Allerdings zeigt bereits das erste Hauptkapitel, dass der Inhalt über die Themensetzung des Titels und des Vorworts zum Teil deutlich hinausgeht: Dies gilt für den geografischen Raum, indem auch Polen prominent berücksichtigt wird, wie auch die Themen: So fasst Hans Ulrich Bächtold (S. 63–67) nochmals die Bedeutung Bullingers als Publizist allgemein zusammen: 124 Werke, d.h. drei bis vier pro Jahr! Eva Frimmová und Daniel Škoviera befassen sich mit dem Einfluss von Erasmus von Rotterdam auf die Slowakei bzw. auf den Arzt und Humanisten Johannes Antonius Cassoviensis. Und schliesslich wird auch die Vorgabe in Bezug auf den zeitlichen Rahmen nicht streng eingehalten, indem einzelne Beiträge auch das 19., ja das 20. Jahrhundert berücksichtigen (so der Beitrag von S. Fircáková über J. H. Zschokke und die Slowakei).

Am Beispiel von Erasmus wird deutlich, wie problematisch es ist, ideengeschichtliche Rezeptionsforschung «national» zu fassen: Handelt es sich um Einflüsse von Schweizer Persönlichkeiten, in der Schweiz lebenden Autoren oder in der Schweiz gedruckten Werken (inkl. Übersetzungen) nach Mitteleuropa? Geht es um Einflüsse, vermittelt durch Peregrinanten (Reisende, Studierende), Drucker, Verleger mit ihren Vertriebskanälen? Eine entsprechend einführende methodische Grundlegung fehlt dem Band. Ansatzweise geschieht dies im Beitrag von Ivona Kollárová (S. 41–56). Sie weist hin auf das Dreieck Markt – Sammlungen – Rezeption und deren Quellen: Bibliothekskataloge, Kataloge von Buchhändlern, Listen von verbotenen Büchern, Anzeigen und Rezensionen, Korrespondenzen. Zu ergänzen wären auch noch die Dedikationen. – Der Mitherausgeber Jan-Andrea Bernhard stellt denn auch am Beispiel der Beziehungen zwischen Basel und ungarischen Humanisten fest, «dass es eigentlich nicht möglich ist, das Zeitalter der Renaissance und des Humanismus nach Ländern und Städten darzustellen» (S. 127f.).

Das zweite Hauptkapitel ist dem «Schweizer Buch im mitteleuropäischen Raum» gewidmet. Hervorzuheben ist dabei der Beitrag von Jan-Andrea Bernhard über die «Bedeutung des Basler Humanismus für Ungarn. Warum ungarische Adelshöfe zu Förderern der Reformation helvetischer Richtung wurden.» Nach der Katastrophe von Mohács (1526) gewannen die Magnatenhöfe an Gewicht, entwickelten sich vielfach zu humanistischen Kulturzentren und förderten dank Verbindungen nach Basel mehrheitlich die Reformation helvetischen Typus’.

Im dritten Hauptabschnitt («Schweizer Bücher in historischen Buchbeständen») folgen exemplarische Auszählungen von Schweizer Drucken in Bürgerbibliotheken, privaten und wissenschaftlichen Sammlungen.

Insgesamt macht der Band deutlich, dass wir es schon im frühen 16. Jh. mit einem europäischen Buchmarkt zu tun haben, bei dem die grossen deutschen Buchmessen und die Buchhändler von Krakau auch für die Helvetica eine zentrale Funktion hatten. Der Buchhandel entspricht der Vernetzung der humanistischen Intelligenz in Europa (S. 127). Ein wichtiger Faktor für die Verbreitung von Schrifttum aus Basel, Zürich, Genf und später auch Neuenburg und Yverdon waren die Studenten aus Mitteleuropa, die in der Schweiz studierten und Drucke mitnahmen. Bemerkenswert ist schliesslich die ideologische Offenheit, die wir in untersuchten Bibliotheken vorfinden: Katholische, lutherische und reformierte Schriften stehen da nebeneinander, so z.B. in Prag des 17. Jahrhunderts (S. 158) oder in Sammlungen der Siebenbürger Sachsen – und sei es auch nur, um den geistlichen Kampf gegen Andersdenkende führen zu können (S. 303).

Viele Beiträge verzichten auf ein Fazit. Vergebens sucht man eine zusammenfassende Einordnung der Ergebnisse der Tagung in den Forschungsstand am Schluss des Bandes. Schade auch, dass eine solche Aufsatzsammlung noch immer ohne Abstracts editiert wird. Dies alles wie auch die etwas zufällig eingestreuten, z. T. unlesbaren Ausschnitte aus Helvetica ohne Bezug zum jeweiligen Artikel hinterlassen den Eindruck einer Edition, die mehr Aufwand verdient hätte.Immerhin ist sie mit einem detaillierten Personen- und Ortsregister ausgestattet.

Zitierweise:
Robert Barth: Rezension zu: Viliam Čičaj, Jan-Andrea Bernhard (Hg.): Das Schweizer Buch und seine Mitteleuropäische Welt. Bratislava, 2011. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 63 Nr. 2, 2013, S. 289-291.